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Der Antrieb, der grüne Kennzeichen wirklich verdient hätte

6.3.2018

Im Gerangel um zukunftsfähige Antriebsarten wird Erdgas bislang gröblich vernachlässigt. Dabei fährt man damit billiger und sparsamer als mit Diesel und noch sauberer als mit Benzin. Infrastruktur: vorhanden. Was fehlt: ein beherzter Anschub durch die Politik. Doch die träumt lieber vom Elektroauto.

Der Ruf des Diesels hat, gelinde gesagt, etwas gelitten in letzter Zeit. Doch Imageprobleme machen auch einer anderen Antriebsart zu schaffen, und das schon viel länger. Oder klingt das etwa sexy: „Ich fahre umweltfreundlich mit Erdgas“. Eher selten, doch immer wieder sieht man Autos, die dieser Sticker ziert. Ganz normale Autos eigentlich, äußerlich nicht von solchen zu unterscheiden, die Benzin oder Diesel verbrennen.

Doch frei assoziiert, denken viele bei Erdgasantrieb – der Fachbegriff lautet CNG, für Compressed Natural Gas – diffus an explodierende Tanks, Einfahrtverbote in Tiefgaragen und verzweifeltes Suchen nach Tankmöglichkeiten. Dass nichts davon zutreffend ist, hat das Image der Antriebsform bislang nicht markant befördert.

So hat sich stattdessen ein diesbezüglicher Zwischenfall aus dem Jahr 2016 im kollektiven Gedächtnis festgesetzt: Ein Erdgas-Touran explodiert im deutschen Niedersachsen beim Tanken, der Besitzer wird schwer verletzt. Unerwähnt blieb, dass der Halter den Rückruf des Herstellers wegen eines Tanks, der zum Rosten neigte, hartnäckig ignoriert hatte und überdies ohne gültige Prüfplakette unterwegs war. Bei einem routinemäßigen „Pickerltermin“ wäre das defekte Bauteil aufgefallen.

Schilder, die wehtun

„Ein Erdgastank explodiert nicht“, sagt Michael Mock, der dem Fachverband der Gas- und Wärmeversorger in Österreich vorsteht, „die Kinderkrankheiten sind behoben“. Der Fall von Tiefgaragen, in denen gasbetriebenen Fahrzeugen die Einfahrt verwehrt ist, hat CNG ohnehin nie betroffen. „Die Schilder tun uns heute noch weh“, berichtet Mock dennoch, „da und dort hätten sich welche aus den Siebzigerjahren“ gehalten. Damals waren Pkw mit Flüssiggasantrieb unterwegs. Bei einem Leck konnte sich der austretende, hoch entzündliche Stoff am tiefsten Punkt eines Gebäudes sammeln, und wenn dann dort eine glimmende Zigarette hinfiel ...

CNG ist hingegen leichter als Luft und verflüchtigt sich sofort, sollte es wo entweichen. Um Benzin oder Diesel in Brand zu setzen, reichen schon geringere Temperaturen.

170 Tankstellen im Land

Aber das sind alles alte Hüte. Während die Sicherheit von CNG-betriebenen Autos niemand ernsthaft in Frage stellt, ist die Tankinfrastruktur im Land so ein Mittelding. „Die Hausaufgaben sind gemacht“, sagt Michael Mock vom Verband, wobei er nicht bestreitet, dass die Zahl der CNG-Tankstellen zuletzt zurückging. „Ich sehe das eher als eine Marktbereinigung. Der Ausbau fand nicht sehr ordiniert statt. Da haben sich manche einfach nicht gerechnet.“

Rund 170 Tankstellen gibt es derzeit im Land, das sollte für ein Auskommen grundsätzlich reichen. Aber was heißt schon grundsätzlich?

Nicht zufällig sind die meisten CNG-Modelle auf dem Markt bivalent ausgelegt, das heißt, sie können sowohl mit Erdgas als auch mit Benzinbetrieben werden. Das hält die Sorge, einmal stehen zu bleiben, wirkungsvoll in Schach. Aber es ist kaum die Zukunft dieser Antriebsform.

Puristische Lösung

Auch der Motorenexperte Ernst Pucher von der TUWien hegt große Sympathien für den Kraftstoff. Für ihn ist CNG „auf längere Sicht der zweitbeste Energieträger nach Wasserstoff“. Zusatz: „Weil es ja selbst hauptsächlich aus Wasserstoff besteht: CH4, einmal Kohlenstoff und viermal Wasserstoff.“

CNG sei ein guter Kraftstoff, so Pucher: „Es gibt jede Menge davon, er ist ‚ungiftig’, verbrennt rußfrei, und die anfallenden Stickoxide beseitigt ein klassischer Dreiwege-Katalysator."

Der Techniker bevorzugt aber die puristische Lösung. Der bivalente Antrieb ziehe einigen Aufwand nach sich: die zweite Steuerung samt Einspritzanlage für den Benzinantrieb. Ohne Benzintank wäre zudem Platz für einen weiteren CNG-Tank geschaffen. So käme man schnell auf 600 Kilometer Realreichweite.

Durchaus ein Wert, mit dem sich Vielfahrer anfreunden können. Für Michael Mock lautet denn auch die zentrale Frage: Wie kann man Diesel mittelfristig ersetzen? „CNG ist die einzige ausgereifte Technologie, die man einem Dieselfahrer anbieten kann.“

Der Trumpf von CNG sind die Kosten, die den Dieselantrieb deutlich unterbieten. Dazu muss man allerdings ausholen. Denn an der Tankstelle ist Gas – anders als Benzin und Diesel in Kilogramm ausgewiesen – nur geringfügig billiger. Entscheidend ist aber der Energiegehalt, der bei Erdgas viel höher ist als bei Diesel und erst recht bei Benzin. Daraus ergibt sich eine höhere Fahrleistung bei gleicher Menge Kraftstoff: Im Fall eines gleich starken Golf kommt um zehn Euro Spritkosten der TDI 231 Kilometer weit und der Benziner 163 km. Das CNG-Modell kommt auf 287 km. Dass der niedrige Gaspreis – beständig unter einem Euro pro Kilogramm – auf alle Zeit so bleibt, ist zwar nicht garantiert, die letzten Volten der Benzin- und Dieselpreise vor zehn Jahren hat Gas aber nicht mitgemacht.

Der Kostenfaktor indes hat sich anderswo schon herumgesprochen: Italien hat über eine Million gasbetriebener Autos auf den Straßen. Eine typisch europäische Insellösung, denn dahinter stecken Maßnahmen des Staates, der mit Gasantrieb billigste Mobilität bietet. Als Arme-Leute-Autos werden in unserem Nachbarland vornehmlich kleine Fiats verkauft, an Autofahrer, die auf den Cent schauen.

Grüne Kennzeichen

Das funktioniert, hilft dem Image aber auch nicht wirklich. Vielleicht braucht Erdgas einen neuen Namen, eine knallige Verpackung, sodass die Politik es als zukunftsweisend propagiert und ebenso mit grünen Kennzeichen und Förderungen belohnt wie Stromautos.

Denn wer glaubt, dass Elektroantrieb die Losung aller Probleme ist, bloß noch ein paar Jährchen oder eher Jahrzehnte braucht, bis die Technologie auch die Massen gewinnen kann, der hätte mit Erdgas die Lösung für weniger Schadstoffe und CO2-Emissionen schon vor der Haustür. Die Infrastruktur ist weitgehend errichtet, mit Pipelines, die Tankschiffe, wie sie als einzige Umweltkatastrophe über die Weltmeere schippern, obsolet machen, mit unterirdischen Leitungen, die das Gas ohne Schwerverkehr zu den Tankstellen befördern.

Und immerhin: EinViertel des Erdgasbedarfs fördert Österreich im eigenen Land. Bestechend auch die Perspektive, Erdgas als komplett CO2-neutrales Biogas herzustellen. Mit einer entsprechenden Strategie ließe sich – ohne großen Investitionsaufwand, rein mit Lenkungsmaßnahmen – der Anteil der sogenannten erneuerbaren Gase im Netz von derzeit nahezu null auf 25 Prozent erhöhen, so Michael Mock vom Verband.

Vielleicht muss man nur anderswohin schauen. Nach Kalifornien etwa, wo der CNG-Anteil im Schwerverkehr zügig ausgebaut wird. Im Hafen von Los Angeles, ein Gebiet, auf dem täglich 60.000 Fahrzeuge verkehren, ist ein Drittel mit CNG unterwegs. Die Stadt hat den öffentlichen Busverkehr umgestellt und betreibt die größte CNG-Busflotte der Welt.

Russfrei, geruchsfrei: Das gab es in Wien auch einmal. Doch die Wiener Linien haben ihre Busflotte inzwischen Linien haben ihre Busflotte inzwischen zur Sicherheit auf Diesel umgesattelt. Die allfällige Dienstreise nach L.A. kann man übrigens einsparen: In Wiener Neustadt läuft die Hälfte der öffentlichen Busse mit CNG. Das besteht zu 100 Prozent aus Biogas, hergestellt in der städtischen Kläranlage.

Einstweilen liegt es offenbar an den Herstellern, den Kraftstoff ins rechte Licht zu rücken. Škoda präsentiert kommende Woche in Genf die Studie eines neuen SUV, der 2019 auf den Markt kommt – auch als CNG-Hybrid. Es muss wohl ein Elektromotörchen dabei sein, um auf einer Automesse wirkungsvoll auffahren zu können. Das teure Hybridsystem an Bord treibt dabei zwangsläufig den Preis.

Doch davon abgesehen, gehört Škoda längst zu den CNG-Proponenten. Der CNG-Octavia war im Vorjahr das meistverkaufte Erdgasauto Österreichs. Noch sind die Marktanteile kaum mit freiem Auge zu sehen. Doch der Markt ist in Bewegung geraten.

Das sieht man auch bei Seat. Zwischen November und Anfang Februar wurden deutlich mehr CNG-Modelle verkauft als im ganzen Jahr zuvor.

Mit insgesamt 30 Erdgasautos ist die Auswahl dennoch gar überschaubar. Das wird sich ändern müssen, soll CNG im Verkehrsgeschehen jemals eine Rolle spielen. Ob sich die Hersteller engagieren, hängt letztlich von den Rahmenbedingungen ab. Solange Elektroautos mit ihrer fraglichen Ökobilanz zu grünen Kennzeichen und allerlei Steuergeschenken kommen, wäre das wohl auch für CNG gerechtfertigt.

Quelle: Die Presse/Timo Völker

 

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